Das „Kinderhaus“ in Simari ist nicht nur ein Bauwerk, es ist ein langfristig angelegtes Programm das viele Möglichkeiten bietet. Wie entstand die Idee hierfür?
Seit einigen Jahren hatte ich Kontakt mit Mata, eine Durgapriesterin die in Nachbarschaft des Dorfes Balchaur lebte. Sie betreute hier 12 Kinder, Waisen wie sie sagte. Mata war immer viel im ganzen Land unterwegs und lies die Kinder allein, was ihnen nicht gut tat. Es war oft schlimm anzusehen, wie diese Kinder verwahrlosten. Hieran änderte auch die Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung die ich anregte nicht viel. Dann erfuhr ich, dass diese Kinder noch Mütter hatten. Diese Mütter waren aber aufgrund ihrer desolaten eigenen Situation nicht in der Lage die eigenen Kinder zu betreuen oder zu erziehen. 2018 wurden diese Kinder von einer staatlichen Organisation Mata weggenommen und in ein Heim gebracht. Es gab noch eine ähnliche Konstellation in diesem Dorf.
In ärmlichen Hütte wohnte hier die Volksgruppe der Badi. Diese Gruppe war nicht sehr sesshaft. Immer wieder zogen Familien weg oder kamen neue hinzu. Die Kinder hatten hier keinen hohen Stellenwert. Als 2015 eine evangelikale Sekte die Badi entdeckte war das nicht zum Vorteil für die Gruppe. Müttern oder Familien, die Probleme in der Beschaffung ihres Lebensunterhaltes hatten wurden die Kinder regelrecht abgekauft. Sie erhielten einige Säcke mit Reis für rund 20 Kinder die in ein Kinderheim in Kathmandu gebracht wurden. Dieses Heim wurde 2017 von der Regierung geschlossen, da hier Missbrauchsfälle nachgewiesen wurden. Einige Kinder kamen zurück, andere blieben verschwunden.
Die Situation dieser Kinder war oft Gesprächsthema zwischen mir und meinen nepalesischen Mitarbeitern. Bei Mata’s Kindern und bei den Kindern der Badi waren uns die Hände gebunden. Was sollten wir tun? Dann machten mich meine Mitarbeiter auf Frauen mit Kindern aufmerksam die unter ähnlich schwierigen Bedingungen lebten.
Ganz langsam entstand in den Gesprächen eine Vision. Könnte man eine Art „Frauenhaus“ bereitstellen in dem diese Mütter mit ihren Kindern ein neues Zuhause finden? Wie sollte das aussehen? Es müsste eine Einrichtung sein, in der die Familien längerfristig eigenständig leben können. Im Oktober 2017 besuchte ich dann mit einer Mitarbeiterin mehrere Frauenorganisationen in Kathmandu und in Pokhara um Problemlösungen zu finden. Bei diesen Organisationen gab es auch „Women shelter“, Frauenhäuser, in denen Frauen Zuflucht finden konnten. Aber diese lagen in Städten und mit der Situation von Frauen auf dem Land wenig vergleichbar. Trotzdem erhielten wir bei diesen Besuchen wichtige Erkenntnisse. Die Häuser in den Städten waren schwerpunktmäßig für Frauen in problematischen Verhältnissen gedacht, wobei unser Ansatz eine Hilfe für Kinder sein sollte. Ideal wäre es, wenn die Mütter durch eine Stabilisierung der Lebensbedingungen nun uneingeschränkt für die Kinder da sein können.
Mitte 2017 begannen die ersten Planungen. Die Trägerschaft des Projektes sollte im Dorf selbst liegen damit die Familien Betreuung und Kontakt hatten. Gemeinsam mit meinen Mitarbeitern überzeugten wir 10 Frauen, die sich für die Aufgabe fähig fühlten, eine NGO zu gründen. Uns allen war klar: eine solch sensible Konstellation braucht eine intensive Betreuung. Ich konnte günstig ein Grundstück erwerben und einen Vertrag mit einem geeigneten Bauleiter abschließen. Langsam entwickelten sich Vorstellungen über das Aussehen des Hauses. Es sollte in seinem Aussehen schon die Bewohner willkommen heißen. Es wurde ein mit starken Fundamenten und Querversteifungen ausgestatteter, erdbebensicherer Rundbau, der „offene Arme“ ausdrücken soll. Angestrichen in einem leuchtende „Terrakotta gelb“ . Im Januar 2018 war der erste Spatenstich, im April war der Rohbau fertig. Nach der Regenzeit im September erfolgten die letzten Arbeiten.
Jetzt meldeten sich die ersten interessierten Frauen. Einige von ihnen waren durch ihre Geschichte traumatisiert und litten unter Angst. In ein Haus zu ziehen das am Ortsrand allein und exponiert stand, schreckte sie ab. Das Haus musste durch Zaun und Wächter geschützt werden. Den Zaun haben wir inzwischen erstellt, aber das Haus braucht seine Zeit um mit Leben gefüllt zu werden. Frauen die hier einziehen haben ein extrem problematisches Leben hinter sich.
Das Ziel wird sein, eine Kooperative für gemeinschaftliche Arbeiten zur Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes zu entwickeln. Kleiner und Accessoires sollen genäht, Gemüse angebaut, Kräuter und Nahrungsmittel getrocknet werden. Auch müssen ein paar Kleintiere her. Aber möglicherweise wird sich, wie sehr oft in Nepal, Neues ergeben und Besseres entstehen. Wir glauben daran!
Günther Wippenhohn